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Weihnachten: Gott will, dass der Mensch Gott wird. Ein Auftrag an die Menschen

Von Thomas Ribi

Weihnachten: Das ist die Verheissung von Liebe, Versöhnung und Frieden. Gott gibt seinen Sohn in die Welt. Das ist ein Geschenk. Vor allem aber ein Auftrag an die Menschen.

Nichts beginnt mit seinem Anfang. Eine Geschichte wie die von Jesus Christus am allerwenigsten. Jedem Anfang geht etwas voraus, was ihn erst möglich macht. Was wir Anfang nennen, ist nur das, was wir als Anfang verstehen. Über Dutzende von Generationen führt das Matthäusevangelium den Stammbaum von Jesus zurück auf die Väter des Alten Testaments, auf Jakob, Isaak und Abraham. Am Anfang sind wir damit nicht. Was mit der Geburt Jesu in Bethlehem zum Ereignis wird, hat früher begonnen. Viel früher.
 Fra Angelico wusste das. Wer die Verkündigungsdarstellungen des italienischen Dominikanermönchs betrachtet, etwa die wundervolle Altartafel in Cortona, kann es sehen. Das Bild betört durch ein Strahlen, in dem die Gewalt der göttlichen Botschaft Farbe wird – und irritiert durch ein unerhörtes Detail: Im Vordergrund überbringt der Engel Gabriel Maria die Botschaft, die für die Menschheit zur Verheissung von Liebe, Frieden und Versöhnung wird. Im Hintergrund spielt sich derweil die Szene ab, die am Beginn allen menschlichen Elends steht: die Vertreibung aus dem Paradies.
Man kann die Gegenüberstellung als Antithese verstehen: Die Schuld, die der Mensch im Garten Eden auf sich geladen hat, wird gesühnt werden – in der Geburt Christi. Gott sendet seinen Sohn in die Welt, um die Menschheit zu erlösen. Der Schöpfer erbarmt sich seines unbotmässigen Geschöpfs. Er gibt ihm die Möglichkeit, sich zu ihm zu bekennen und der Sünden ledig zu werden. Doch die seltsame Verbindung von Verkündigung und Sündenfall eröffnet noch eine zweite, beunruhigende Lesart.

In der Erinnerung an die Sünde, mit der sich der Mensch in eine nicht zu überwindende Distanz zu Gott begab, steckt der Hinweis auf die Ursache, die ihn dazu gebracht hatte, sich gegen Gott aufzulehnen: dass der Schöpfer seinem «Bild und Gleichnis» nicht zubilligte, sein zu wollen, wie er selber ist. Das empfand der Mensch als unerträglich, und es wäre wohl keine Schlange nötig gewesen, um ihn auf den Gedanken zu bringen, selber Gott sein zu wollen. Luther hat das klar formuliert: «Der Mensch kann von Natur aus nicht wollen, dass Gott Gott ist», heisst es in der 1517 publizierten «Disputation gegen die scholastische Theologie»: «Vielmehr wollte er, er selber sei Gott und Gott sei nicht Gott.»

Das Tor des Paradieses

Das ist ein starkes Stück. Umso mehr, als Luther den Widerstand gegen Gott nicht als Zeichen des Verfalls versteht. Er spricht nicht von einer dekadenten Entwicklung, die den Menschen irgendwann einmal dazu führte, gegen Gottes Gebot zu handeln. Er behauptet, der Widerstand gegen Gott und der Drang, sich über sich selber zu erheben, seien in der menschlichen Natur begründet. Der Mensch, sagt Luther, könne gar nicht anders, als Gott sein zu wollen – weil sein Schöpfer ihn darauf angelegt habe.

Die Revolte von Adam und Eva ist bekanntermassen gescheitert. Gott verwies den Menschen aus dem Garten Eden und überliess ihn dem irdischen Leben: Schmerz, Mühsal und Tod. Der Mensch plagt sich, leidet an der Welt und an sich selbst, hadert mit seiner Sterblichkeit. Doch seine Natur hat sich nicht geändert. Er lässt nicht davon ab, sein zu wollen wie Gott, auch wenn er dafür einen hohen Preis zahlt: Seine Geschichte ist geprägt von Ungeheuerlichkeiten, für die wir weder Zahl noch Namen haben.

Es hat seinen guten Grund, dass Fra Angelico an den Sündenfall erinnert, wo sich das zentrale Ereignis des Christentums vorbereitet: die Geburt Jesu. Gott wird Mensch, das ist die frohe Botschaft von Weihnachten. Sie verweist den Menschen darauf, dass Gott ihn nicht aufgegeben hat. Das Tor des Gartens Eden ist verschlossen, aber Gott geht auf den Menschen zu. Und die Menschen haben die Macht, Kinder Gottes zu werden, wie es im Johannesevangelium heisst: «Die ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben.»

Kinder Gottes – im Neuen Testament ist das mehr als eine Redewendung. Es geht nicht darum, dass die Menschen nur Gottes Kinder heissen, sondern dass sie es werden; dass sie es sind. Sie haben Teil an der Natur Gottes, so steht es im Zweiten Petrusbrief. Zwischen Gott und Mensch besteht nicht einfach eine Ähnlichkeit, sondern eine substanzielle Verbindung. Kind Gottes sein heisst, dass der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf in Gottes Natur aufgehoben wird.

Der Mensch, heisst das, ist eins mit Gott. In gewisser Weise ist er sogar Gott, auch wenn er Mensch bleibt. Das erinnert gefährlich an die Selbstüberhöhung, die zum Fall von Adam und Eva geführt hat. Aber die spätantiken Kirchenväter haben genau das gelehrt: Gott sei Mensch geworden, damit der Mensch Gott werden könne, schrieb Gregor von Nazianz im vierten Jahrhundert. Und war bei weitem nicht der Einzige, der diese Position vertrat.

Ist das Blasphemie? Oder verblasene Rabulistik? Keines von beidem: Es ist der Versuch, die Botschaft des Evangeliums ernst zu nehmen, zu verstehen und rational zu begründen – im Wissen darum, dass es Wahrheiten gibt, die grösser sind als die menschliche Vernunft. Fast tausend Jahre nach Gregor von Nazianz hat sich einer der grössten christlichen Philosophen mit hartnäckiger Nachdenklichkeit gefragt, was «Geburt Gottes» eigentlich bedeutet. Im Dezember 1325 predigte der Dominikaner Meister Eckhart im Kloster St. Mariengarten in Köln über die Verkündigungsszene, die Fra Angelico gut hundert Jahre später so zauberhaft gemalt hat. Was er seinen Zuhörerinnen sagte, klingt so, als spreche er direkt zu uns.

So gut wie nicht geboren

Meister Eckhart deutet das Weihnachtsgeschehen als Ereignis, dessen geistige Bedeutung die leibliche bei weitem übersteigt. Nicht als etwas, was sich vor langer Zeit in Bethlehem abgespielt hat und damit abgeschlossen ist, sondern als Vorgang ohne Anfang und Ende. Die Geburt des Sohnes in der Gottheit ist ein Prozess, der sich immer wieder vollzieht und sich immer wieder neu vollziehen muss. Eine ewige Geburt, ein fortdauerndes Gebären und Entstehen. Was an Weihnachten geschieht, darf sich nicht in der Geburt Jesu durch Maria erschöpfen. Wirksam wird es nur, wenn es sich im Menschen ereignet. In jedem einzelnen Menschen.

Da liegt für Meister Eckhart das Geheimnis der Geburt Jesu. Für Gott sei es wertvoller, in einer guten Seele geistig geboren zu werden als leiblich von der Jungfrau Maria, sagt er. Mehr noch: Wenn Gott nicht in der Seele des Menschen geboren werde, sei es, als ob er überhaupt nicht geboren werde. Gott ist in seiner ganzen Unermesslichkeit auf den Menschen angewiesen. Er ist der Gebärende wie der Geborene, in ihm sind Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf eins, sein Wirken liegt jenseits von Zeit und Raum. Aber ohne den Menschen wird es in der Welt nicht spürbar.

Gott braucht den Menschen. Im ewigen Schöpfungsakt, der die beiden verbinde, werde der Mensch Gott, sagt Meister Eckhart. Gott wird Mensch, damit der Mensch Gott werden kann. Aber der Mensch muss auch Gott werden, damit Gott Mensch werden kann. «Wir werden völlig in Gott umgeformt und in ihn verwandelt; wie im Sakrament das Brot verwandelt wird in den Leib Christi: so werde ich in ihn verwandelt, dass er selbst mich hervorbringt als sein Sein», heisst es in einer von Eckharts Predigten.

Die Sätze wurden von der päpstlichen Inquisition als häretisch verurteilt. Sie sind es nur, wenn man sie missversteht: als frevlerische Anmassung eines Menschen, der Gott vom Thron stossen und sich selber an seine Stelle setzen will. Genau das ist es nicht, was Meister Eckhart meint, wenn er davon spricht, der Mensch müsse Gott werden. Wer sich selber absolut setzt, ist verloren – für Gott und für die Welt. Nur wer sich selber leer macht, wer sein ganzes Selbst hingibt, um in Gott neu geboren zu werden, kann Gott werden.

Die Geburt Jesu, die wir an Weihnachten feiern, ist ein Geschenk. Vor allem aber ein grosser Auftrag. Gott gibt seinen Sohn in die Welt, er erniedrigt sich, um die Menschen zu erhöhen. Mit seiner Hingabe fordert er den Menschen auf, sich einzulassen auf den Frieden Christi. Und seine eigene Natur wirklich zu verstehen und ihr gemäss zu leben: die Natur, die ihn drängt, Gott sein zu wollen. Gott will, dass der Mensch Gott wird, dass er eins wird mit Gott in einem Sein jenseits der Zeit. Die Geburt Christi ist der Beginn einer Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende hat. Einer Geschichte, die nur geschehen kann, wenn sie sich immer wieder von neuem ereignet.

Quelle: NZZ

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